Wer in Jerusalem „Yad Vashem“ besucht, die Gedenkstätte, die an die nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert, kann das „Tal der Gemeinden“ entdecken. Dort befinden sich hohe Felssteinquader, durch die man wie in einem Irrgarten läuft. Auf 107 Wänden sind die Namen von über 5000 jüdischen Gemeinden, die im Holocaust zerstört wurden oder nur knapp überlebten, eingraviert.
Die Nacht vom 09. auf den 10. November 1938. In ihr brannten in Deutschland die Synagogen. Sie waren das öffentliche Fanal für das, was folgen sollte: der Völkermord am europäischen Judentum.
Reichspogromnacht: Auch Kristallnacht genannt, obwohl in dieser Nacht mehr zu Bruch ging als Kristallglas. Die Bilanz der Polizei nach dieser Nacht lautete: 815 zerstörte Geschäfte, 29 in Brand gesteckte Warenhäuser, 191 in Brand gesteckte und 76 vollständig demolierte Synagogen, 2000 Festnahmen, 36 Tote, 36 Schwerverletzte.
Reichspogromnacht: Eine der finstersten Nächte in der Geschichte meines Volkes. Meines Volkes? Auch meine Geschichte? Ja, auch meine Geschichte. Nicht meine Schuld, das nicht. Aber meine Geschichte, und damit meine Verantwortung! Und dieser Verantwortung muss ich mich stellen.
Jeder fünfte Deutsche ist Studien zufolge unterschwellig antisemitisch; und längst nicht nur Ältere. Auf Schulhöfen gehört das Schimpfwort „Du Jude“ wieder zum Allgemeingut. Dieser Wirklichkeit stellt sich eine Broschüre der Evangelischen Kirche in Deutschland. Titel: „Antisemitismus – Vorurteile, Ausgrenzungen, Projektionen und was wir dagegen tun können“. – Es lohnt sich, diese Broschüre zu lesen; sie kann heruntergeladen (www.ekd.de/antisemitismus-30965.htm) oder kostenlos bestellt (versand@ekd.de) werden.
Mit einem Gebet möchte ich schließen:
„Gnädiger und barmherziger Gott, Richter der Welt. Wir erinnern uns heute an das Grauen, das unser Volk über die Juden Europas gebracht hat: an die unzähligen Demütigungen, an die Qualen der Ausgrenzung und der Deportation, das himmelschreiende Elend in den Ghettos, den fabrikmäßig durchgeführten Mord an Millionen. Es fällt uns schwer, diese Verbrechen als Teil unserer Geschichte anzunehmen, zu begreifen, dass sie nie verjähren, weil die Wunde im Gedächtnis deines Volkes nicht verheilt. Gott, mach uns empfindsam für den bleibenden Schmerz der Überlebenden und ihre leicht entfachbare Angst. Mach uns wachsam gegen alte und neue Feindbilder, und mach uns tapfer, den Stammtischparolen zu widersprechen. Gott, lass uns aus der Erinnerung an das Böse Kraft zu Gutem erwachsen.“ Amen.
Hier noch ein Hinweis auf Gedenkveranstaltungen am 09. November:
- 15:00 Uhr, jüdischer Friedhof in Schortens, Menkestraße;
- 17:00 Uhr, ehemalige Synagoge in Neustadtgödens, Kirchstraße.
Ihr Pfarrer Christoph Felten